Jan Hoet, künstlerischer Leiter der documenta
9 von 1992, beschrieb die Ausstellung als eine documenta der
Orte und eine, die allein vom Künstler, seinem Werk
ausgehe. Hoet verfolgte mit der documenta 9 kein theoretisches Konzept
und bot keinen übergeordneten thematischen Rahmen mehr an, und
kündigte damit ein Prinzip der documenta auf, das mindestens
seit der d5 maßgeblich den Charakter der Ausstellung prägte.
Stattdessen sah Hoet die wesentliche Aufgabe der aktuellen Kunst darin,
mit konkreten subjektiven Erfahrungen einer immer stärker ins
Virtuelle abgleitenden Realität zu begegnen. Exemplarisch können
dafür die Videoinstallation Anthro/Sozio (1992) von
Bruce Nauman im Eingangsbereich des Fridericianums stehen, die die
physische Bedrohung des Subjekts zum Thema machte, oder die Außeninstallation
Toilette (1992) des russischen Künstlers Ilya Kabakov,
der eine russische öffentliche Toilette nachbauen ließ
und durch Mobiliar und persönliche Gegenstände als Wohnung
kennzeichnete. Hoets Ansatz war emotionsbezogen und die Ausstellung
erlebnisorientiert, wobei die Vielfalt der aktuellen Kunstszene gezeigt
wurde, ohne sie systematisch zu strukturieren oder normativ zu bewerten.
Zugleich bemühte sich Hoet, eine Vielzahl neuer, bislang nicht
von der documenta besetzter Räume zu belegen, und weitete den
Aktionsradius der Ausstellung auf sieben Häuser und viele Stellen
im Außenraum aus. Neben den klassischen Orten Fridericianum
und Orangerie wurden die Neue Galerie, das Treppenhaus der Allgemeinen
Ortskrankenkasse (AOK) und erstmals das Naturkundemuseum Ottoneum,
temporäre Bauten in der Karlsaue und die von den Architekten
Jochem Jourdan und Bernhard Müller neugebaute documenta-Halle
hinter dem Theater als Ausstellungsorte hinzugewonnen. Der Charakter
der an diesen Orten platzierten Kunst nahm zum Teil die örtlichen
Vorgaben auf, wie z.B. in der Neuen Galerie, wo die Kunstwerke als
Kommentare der vorhandenen Dauerpräsentation installiert waren,
oder folgten dem Prinzip des Displacement, bei dem Objekte
in fremden Zusammenhängen gezeigt wurden, wie bei der Präsentation
einiger Werke im Naturkundemuseum Ottoneum.
Ins Rahmenprogramm der d9 wurden auch Jazz und die sportlichen Disziplinen
Boxen und Baseball aufgenommen. Diese Ausweitung des Konzepts wurde
als zentrale Metapher für Kunst und Leben verstanden und trug
nicht unerheblich zur enormen Popularität der d9 bei. Zum ersten
Mal in der Geschichte der documenta fanden über eine halbe Million
Besucher den Weg nach Kassel.