Die documenta 6 von 1977 musste mit der Aufgabe
fertig werden, nach dem umfassenden enzyklopädischen Konzept
der vorangegangenen documenta eine eigenständige Neudefinition
des Konzepts der thematischen Ausstellung zu formulieren. Das vom
künstlerischen Leiter Manfred Schneckenburger proklamierte Medienkonzept
der d5 versuchte daher die Frage nach der Stellung der Kunst in der
Mediengesellschaft neu zu stellen und dem Anspruch der Kunst als eigenständigem,
aber gleichzeitig in der Gesellschaft verhaftetem und ihr verantwortlichem
Bereich gerecht zu werden.
Schneckenburger stützte seinen Kunstbegriff auf drei Generationen
technischer Medien: Fotografie wurde mit einer umfangreichen Retrospektive
präsentiert, die sowohl die technischen als auch die kommunikativen
und inhaltlichen Aspekte und Entwicklungen des Mediums zu dokumentieren
trachtete. Dazu kamen Film und Video. Neben einigen Videoinstallationen,
z.B. Ulrike Rosenbachs Herkules-Herakles-King Kong (1976)
oder Bill Violas He Weeps for You (1976), etablierte sich
die documenta erstmals auch im Fernsehen: Allwöchentlich wurden
in den öffentlich-rechtlichen Sendern Bänder aus der Videothek
der Ausstellung gezeigt.
Entsprechend dem Anspruch, das Spannungsverhältnis von Kunst
und gesellschaftlicher Wirklichkeit auszuloten, waren die Skulpturen
der d6 häufig als Kunst im öffentlichen Raum
konzipiert und wurden, neben dem traditionellen Standort in der Karlsaue,
vor allem vor dem Fridericianum, präsentiert. Richard Serras
monumentale Skulptur Terminal (1977), eine haushohe Struktur
aus Eisenplatten und Walter de Marias Vertikaler Erdkilometer
(1977), ein zwölf Tonnen schwerer Messingstab, dessen Versenkung
in der Erde den Friedrichsplatz im Vorfeld der d6 zur Baustelle machte,
markierten so eindrücklich und unter zum Teil scharfen Reaktionen
aus der Bevölkerung den Anspruch der Kunst auf öffentliche
Teilhabe. Zugleich illustrierten sie beispielhaft die veränderten
skulpturalen Fragestellungen des Postminimalismus und der Land Art,
bei denen neben einen veränderten Materialverständnis auch
das Verlassen der herkömmlichen musealen Räume und eine
Dimensionsverschiebung ins Monumentale zu beobachten waren. Joseph
Beuys versuchte in seinem Beitrag zur documenta 6 ebenfalls, gesellschaftliche
Bezüge innerhalb der zeitgenössischen Kunst auszudeuten,
indem er ein System kommunizierender Röhren und Schläuche
durch das Fridericianum legte, die von der zentral in der Treppenhausrotunde
platzierten Honigpumpe am Arbeitsplatz mit Honig gespeist
wurden. Sein so installiertes System räumlicher Verknüpfungen
nahm für sich in Anspruch, metaphorisch den Charakter der zeitgenössischen
Kunst als organisches, selbst eine Gesellschaft bildendes Ganzes zu
versinnbildlichen.
Aber die medialen Voraussetzungen zeitgenössischer Kunst wurden
auch an anderen Beispielen untersucht: In einer großangelegten
Ausstellung von Künstlerbüchern wurde das Spannungsverhältnis
des Mediums verdeutlicht, das sich aus dessen technischer Massenproduzierbarkeit
und den oft unikathaften künstlerischen Umgangsformen mit diesem
ergibt. In der Orangerie wurde mit einer Ausstellung zeitgenössischer
Handzeichnungen an einen thematischen Aspekt der documenta 3 angeknüpft.
700 Arbeiten von 200 Künstlerinnen und Künstlern (von Pablo
Picasso bis Douglas Huebler) waren zu sehen, wobei amerikanischen
Künstlern, die 1964 bis auf Jackson Pollock noch vollständig
ausgeschlossen worden waren, ein breiter Raum eingeräumt wurde.
Anders als auf der documenta 3 waren die Handzeichnungen nicht chronologisch
sondern thematisch sortiert.
Auch die Kunst des sozialistischen Realismus aus der DDR war mit den
Werken der Maler Willi Sitte, Bernhard Heisig, Werner Tübke und
Wolfgang Mattheuer sowie der Bildhauer Jo Jastram und Fritz Cremer
vertreten. Die Präsentation dieser offiziellen DDR-Kunst wurde
zum meistdiskutierten Ausstellungsteil und veranlasste westliche
Teilnehmer, unter anderem Georg Baselitz und Gerhard Richter, ihre
Beiträge zurückzuziehen.