Die documenta 5 von 1972 gilt als bisher wichtigste
Zäsur in der Geschichte der documenta, da erstmals das fortan
für die Ausstellung gültige Modell des künstlerischen
Leiters erprobt wurde. Als Antwort auf die zunehmenden Komplikationen
der internen Organisationsstrukturen, wie sie in aller Schärfe
während der documenta 4 zutage getreten waren, wurde Harald
Szeemann, der bis 1969 Leiter der Berner Kunsthalle war und seitdem
als freier Ausstellungsmacher arbeitete, zum alleinverantwortlichen
Generalsekretär bestimmt. Zugleich wurde das Prinzip
der vorherigen documenta-Ausstellungen verlassen, Kunstwerke nach
deren individuellem Qualitäts- oder Neuigkeitspotential auszuwählen,
und ein thematischer Gesamtrahmen etabliert, innerhalb dessen einzelnen
Werken ein eher belegstückhafter Charakter zugeschrieben wurde.
Szeemann überschrieb seine d5 mit dem Titel Befragung
der Realität Bildwelten heute. Systematisch sollte
das Verhältnis visueller Ausdrucksformen und der Wirklichkeit
nachgezeichnet werden. Die Ausstellung bot zum besseren Verständnis
der Bildwelten der Gegenwart an, den Besuchern eine Sehanleitung
zu geben. In einer immer stärker auf die Vermittlung durch
(Massen-) Medien angewiesenen Welt seien die Wiedergabe tatsächlicher
Ereignisse auf der einen und die Inszenierung von Wirklichkeit auf
der anderen Seite kaum noch unterscheidbar. Das Verhältnis
von Bild und Wirklichkeit stand im Mittelpunkt der Ausstellung.
Das Konzept wurde zwar nicht in seinem enzyklopädischen Anspruch
eingelöst, dennoch zeichnete sich die d5 durch eine enorme
Bandbreite von Werken aus: Neben einer Vielzahl künstlerischer
Positionen und Strömungen wurde der Betrachter mit unterschiedlichsten
Parallelbereichen visueller Produktion wie z.B. Kitsch, Werbung,
der politischen Ikonographie, religiös-volkskundlichen Bilderwelten,
Science Fiction oder der Bildnerei der Geisteskranken
konfrontiert. Eine große Präsentation der Malerei und
Skulptur des europäischen und amerikanischen Fotorealismus
diente als Belegstück des Eindringens eines neuen Wirklichkeitsbezugs
in die Kunst und wurde zu einem sensationellen Erfolg der documenta
5. Doch auch andere Formen des Wirklichkeitsbezugs fanden in Szeemanns
Präsentation Raum. So waren Performance und Aktionen von großer
Bedeutung, indem sie den Handlungsrahmen der Kunst im unmittelbar
erfahrbaren Raum verorteten, und Joseph Beuys Beitrag zur
d5, die Einrichtung eines Büros seiner Organisation für
direkte Demokratie durch Volksabstimmung im Museum Fridericianum,
in dem er 100 Tage lang mit den Besucherinnen und Besuchern diskutierte,
verdeutlichte den Anspruch der Kunst, auch jenseits ästhetischer
Kategorien einen Zugriff auf das öffentliche Leben einzuklagen.
Den aktuellen Trend der frühen 70er Jahre zu introvertierten,
hermetischen Kunstaussagen fasste Szeemann unter dem Begriff Individuelle
Mythologien zusammen und präsentierte große, oft
installative Werke, die den oft idiosynkratischen gedanklichen Kosmos
der jeweiligen Künstler verdeutlichen sollten. So wurde der
junge belgische Künstler Panamarenko mit seinem monumentalen
Luftschiff Aeromodeller(1969-1971) präsentiert,
das raumfüllend seine Obsession mit dem Traum vom Fliegen illustrierte.
Wie keine documenta zuvor polarisierte die d5 durch ihr umfassendes
Konzept und den breiten zugrundegelegten Kunstbegriff Publikum und
Fachwelt in Kritiker und begeisterte Befürworter.