Diskussionen und Kontroversen waren im Vorfeld
der documenta 4 von 1968 bestimmend, wobei die Frage nach der Zukunft
der documenta im Mittelpunkt stand. Die Politisierung der Gesellschaft
in den späten 60er Jahren hinterließ auch bei der Kasseler
Ausstellung ihre Spuren rote Fahnen und Sprechchöre sorgten
dafür, dass die Festreden zur Eröffnung ungehalten bleiben
mussten. Aber auch in ihrer internen Organisation machten sich bei
der documenta 4 ein Generationenkonflikt und die Auseinandersetzung
um das fragile Verhältnis von ästhetischem Urteil und demokratischer
Meinungsfindung bemerkbar. Die Organisation der Ausstellung war einem
sogenannten documenta-Rat anvertraut. Am Ende der Vorbereitungen gehörten
diesem Rat 24 Mitglieder an, die sich in verschiedene Arbeitsausschüsse
(z.B. für Malerei, Plastik, Ambiente, usw.) aufteilten.
Die Schwierigkeit der ästhetischen Urteilsfindung angesichts
solch ausschussdemokratischer Verwaltungsstrukturen, und die teilweise
sehr große Skepsis einiger älterer Mitglieder (darunter
z.B. Werner Haftmann) an der Möglichkeit ästhetische Urteile
im Konsens zu fällen, endete in der Sackgasse. Jean Leering,
der junge Direktor des Stedelijk Van Abbemuseums Eindhoven, der nach
dem Tod zweier Ratsmitglieder zum Vorsitzenden des Malerei-Ausschusses
aufgestiegen war, nutzte diese Situation und wurde neben Bode zur
entscheidenden Figur an der Spitze der Ausstellung.
Die d4 präsentierte sich im betonten Kontrast zu ihrer unmittelbaren
Vorgängerin als die jüngste documenta, die es je gab.
Es wurde auf jede Form der Retrospektive verzichtet, die Ausstellung
konzentrierte sich ganz auf das aktuelle Kunstgeschehen der sechziger
Jahre. Hierbei wurde der Vielfalt der künstlerischen Ausdrucksformen
Rechnung getragen: Die d4 öffnete sich endgültig dem Primat
der amerikanischen Kunst, die mit den Großformaten der Post-Painterly-Abstraction
und der Farbfeldmalerei räumliche Dominanz bewies, aber auch
mit Minimal Art und Pop Art ein neues Verständnis von Realitätsbezug
ausformulierte, das Haftmanns These der Weltsprache Abstraktion
zum historischen Modell erklärte. Die neuentwickelte Abteilung
der Künstler-Environments in der Neuen Galerie künstlerische
Erlebnisräume, in denen sich der Besucher bewegen kann und so,
wie bei Edward Kienholz's Roxys (1961), dem Nachbau
eines amerikanischen Bordells der fünfziger Jahre, zum Verlassen
des distanzierten Betrachterstandpunktes angehalten wird wurden
zur großen Attraktion der Ausstellung. Die inzwischen etablierte
Präsentationsform der Plastik auf dem Freigelände vor der
Orangerie wurde dergestalt verändert, dass auf jede architektonische
Umfassung der Arbeiten verzichtet und diese in loser Gruppierung auf
der Karlswiese abgestellt wurden. Christos 5600 Cubic Meter
Package 85 Meter hoch und selbstbewusst inmitten der
Karlswiese platziert war ein unübersehbares Wahrzeichen
für aktuelles Kunstverständnis.
Angesichts der Spannbreite künstlerischer Ausdrucksformen, die
von unterschiedlichsten Material- und Realitätsauffassungen und
zunehmend von theoretischen Fragestellungen geleitet waren, erkannten
die Ausstellungsmacher das Problem, dass sich auf Seiten der Betrachter
die Rezeptionspraktiken in den letzten Jahrzehnten nicht verändert
hatten. Um diese Distanz zwischen moderner Kunstproduktion und Rezeption
zu verringern und um die Besucher nicht mehr sich selbst zu überlassen,
wurde auf der documenta 4 erstmals eine Besucherschule
von Bazon Brock eingerichtet, in der den Besuchern ein Verständnis
für Kunstbetrachtung als eigenständiger Arbeitsleistung
nahegelegt und Aneignungstechniken für zeitgenössische Kunst
beigebracht wurden.