Die erste documenta, die der Kasseler Maler und
Akademieprofessor Arnold Bode im Jahre 1955 ins Leben rief, wurde
zu einem unerwarteten Welterfolg. Der Ausstellung, die als Beiprogramm
zur im gleichen Jahr in Kassel ausgetragenen Bundesgartenschau realisiert
werden konnte, lag ein historisch-dokumentarisch-rekonstruktiver Anspruch
zugrunde. Gezeigt wurde die Entwicklung der bedeutenden Gruppenbewegungen
seit Beginn des 20. Jahrhunderts: Fauvismus, Expressionismus, Kubismus,
Blauer Reiter, Futurismus, Pittura Metafisica etc. Es waren insgesamt
570 Werke von 148 Künstlerinnen und Künstlern aus sechs
Ländern zu sehen, die Klassische Moderne wurde bewusst in allen
ihren europäischen Verflechtungen dargestellt. Bode inszenierte
die Werke eindrucksvoll in der Ruine des Museums Fridericianum, bis
heute Hauptgebäude der documenta, deren provisorische Räume
er mit für die damalige Wahrnehmung außerordentlich modernen
Materialien (wie etwa Heraklitplatten und PVC-Vorhängen) gestaltete.
In ihrem Inszenierungskonzept offenbarte die documenta ausdrücklich
das Ziel, einen direkten Bezug zur 1937 von den Nationalsozialisten
ausgetragenen Propagandaausstellung Entartete Kunst herzustellen,
um die durch diese Ausstellung ins Bewusstsein der Deutschen getretenen
Werke, Stile und Künstler zu rehabilitieren. So wurde Wilhelm
Lehmbrucks Skulptur Kniende (1911), die 1937 von den Nazis
zentral platziert wurde, wiederum im Eingangsbereich des Fridericianums,
diesmal jedoch weihevoll in der Rotunde der Freitreppe, aufgestellt.
Dieser Versuch, Werke und Künstler unter umgekehrten Vorzeichen
zu betrachten und so zu rekontextualisieren, wurde durch eine zentral
platzierte Fotowand mit Künstlerporträts ergänzt, um
so die individuelle schöpferische Person hinter den Werken zu
feiern. Werner Haftmann, Kunsthistoriker und konzeptueller Kopf der
documenta 1 bis 3, beschrieb das Anliegen der ersten documenta: Man
soll sie sehen als einen breit angelegten, aber doch ersten Versuch,
wieder den internationalen Kontakt in breiter Form aufzunehmen und
in ein lange unterbrochenes Gespräch sozusagen im eigenen Hause
wieder einzutreten. Haftmann sah auch einen didaktischen Auftrag:
Sie ist für die heraufwachsende Jugend gedacht, für
deren noch unbekannte Maler, Dichter, Denker, dass sie erkennen mögen,
welcher Grund ihnen zubereitet wurde und was es zu verwalten und was
zu überwinden gilt.
So wurde neben einem retrospektiven Blick auf die vergangenen fünfzig
Jahre das Augenmerk auch auf zeitgenössische Kunst gerichtet.
Es ging einerseits um eine geistige Standortbestimmung, der Frage
nach Möglichkeiten, an künstlerische Positionen der ersten
Hälfte des Jahrhunderts anzuknüpfen und andererseits um
eine Einordnung der jungen deutschen Kunst in das internationale Geschehen.
Die d1 erwies sich hier als das erste Nachkriegsforum, auf dem es
zu einer Begegnung zwischen deutschen und anderen europäischen
Künstlern kam.